Jun 9, 2023

Queer in der Praxis: die Ergebnisse unserer LGBTQIA-Umfrage

Stethoskop auf einer Pride-Flagge – Titelbild des jameda Blogposts zum Thema Queer in der Praxis: die Ergebnisse unserer LGBTQIA-UmfrageWie queersensibel die Gesundheitsversorgung in Deutschland derzeit ist. 

Pride Month: Was Sie als Mediziner:in wissen sollten

Mehr als jede zweite Patientin und jeder zweite Patient finden, Mediziner:innen seien nicht ausreichend über LGBTQIA-Themen aufgeklärt und sensibilisiert. Aus diesem Grund sind Aktionen wie der weltweite Pride Month im Juni wichtig.

Sie führen zu mehr Toleranz und Verständnis für die besonderen Bedürfnisse von queeren Menschen in der Gesellschaft und insbesondere im medizinischen Bereich.

In diesem Blogartikel werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Pride Month und zeigen, weshalb queere Personen oftmals nicht dieselbe Gesundheitsversorgung erfahren wie nicht-queere Personen. 

Darum geht es beim Pride Month

Alljährlich wird im Juni der weltweite Pride Month begangen. Auch in Deutschland ziehen zu diesem Anlass bunte Paraden durch die Großstädte. Wer die Bedeutung der Pride nicht kennt, mag sie für eine ausgelassene Party halten.

Doch der Hintergrund ist ernst. Gefeiert werden der hart erkämpften Rechte von LGBTQIA-Personen. Der Grundgedanke von Pride-Umzügen ist, selbstbewusst durch die Straßen zu gehen und zu signalisieren, dass queeren Menschen dieselben Rechte wie alle anderen zustehen.

Banner, Reden und Kundgebungen erinnern an die Stonewall-Proteste, die bisher erkämpften Rechte und die bislang unerfüllten Forderungen an die Politik und die Gesellschaft. 

Die erste Pride Parade der Geschichte

In Deutschland ist die Pride auch unter dem Namen CSD bekannt. Diese Bezeichnung bezieht sich auf den Ursprung des heutigen Pride Month: Den Christopher Street Day. So wird die Erinnerungskultur an die Stonewall-Proteste 1969 in New York bezeichnet.

Anlass damals war eine Polizeirazzia im Stonewall Inn am 28. Juni 1969, bei der gegen Homosexuelle und Transpersonen vorgegangen wurde. Die Barbesucher:innen wurden mit Flaschen beworfen und teilweise brutal verhaftet.

Als Reaktion darauf fanden mehrere Demonstrationen der LGBTQIA-Community statt. Die mutigen Demonstrationen führten zu einem grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Die Teilnehmenden trauten sich erstmals inmitten von gewalttätigen Anfeindungen gegen ihre Identität selbstbewusst in die Öffentlichkeit.

Seitdem gehen jährlich immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen Diskriminierung zu protestierten. In Deutschland setzten sich die CSD-Umzüge erst 1979 durch. 

Warum der Pride Month auch heute noch so wichtig ist

Zwar kämpfen Angehörige der LGBTQIA-Community nun schon seit 1969 verstärkt für ein Leben ohne Kriminalisierung und Diskriminierung – auch im gesundheitlichen Bereich. Die ersten Proteste waren dabei nur die ersten Schritte auf einem langen Weg, der noch nicht bis zum Ende gegangen wurde.

So gibt es immer noch Länder, in denen die Todesstrafe für Homosexuelle und Transpersonen gilt. Aus diesem Grund begehen LGBTQIA-Personen jedes Jahr erneut den Pride Month. Dabei feiern Menschen mit verschiedenen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten ihre Diversität.

Gleichzeitig machen sie darauf aufmerksam, Toleranz und Akzeptanz in der gesamten Gesellschaft zu fördern. 

Darum sollten Sie als Mediziner:in den Pride Month kennen

Auch für Sie als Arzt oder Ärztin ist der Pride Month wichtig, egal, ob Sie nun selbst zur LGBTQIA-Community gehören oder nicht. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit zählen zu Ihren Patient:innen auch queere Personen.

Das können intersexuelle Patient:innen sein, die unter den Folgen einer ungerechtfertigten geschlechtsangleichenden OP leiden, ein gleichgeschlechtliches Paar, das seinen Kinderwunsch erfüllen möchte, oder aber eine transidente Person, die mit Körperintegritäts-Dysphorie kämpft.

Auf all diese und weitere Anliegen sollten Sie als Mediziner:in einfühlsam reagieren und vor allem diskriminierungsfrei behandeln. Eine kompetente Behandlung können Sie vor allem dann  gewährleisten, wenn Sie sich selbst mit queeren Themen in der Medizin beschäftigen.

Infos und Leitfäden zu einer queersensiblen Behandlung finden Sie zum Beispiel auf queermed.at.

Darum verschweigen Patient:innen ihre geschlechtliche oder sexuelle Identität

LGBTQIA-Personen haben Diskriminierung häufig entweder am eigenen Leib erfahren oder wissen um die Erfahrungen ihrer Community-Mitglieder. So berichten manche Trans-Patient:innen, dass sie häufig mit den falschen Pronomen angesprochen werden.

Manchen LGBTQIA-Patient:innen wird sogar die Behandlung verweigert. Dadurch haben queere Patient:innen Angst, ihre Identität preiszugeben, wenn sie den Arzt oder die Ärztin noch nicht kennen. Sie rechnen bei jedem neuen Arzttermin damit, nicht ernst genommen oder sogar beleidigt zu werden.

Diese Diskriminierungserfahrungen können dazu führen, dass LGBTQIA-Patient:innen keine Arztpraxis aufsuchen, wenn sie gesundheitliche Hilfe benötigen. Daher liegt es in der Verantwortung von Mediziner:innen, eine Atmosphäre der Toleranz in Praxen und Kliniken zu schaffen. Nur so können alle LGBTQIA-Personen ins Gesundheitssystem gleichberechtigt integriert werden. 

Patient:innen wünschen sich mehr Expertise und Sensibilität für queere Themen

Wir von jameda wollten erfahren, was LGBTQIA-Patient:innen wirklich erleben, wenn sie eine Arztpraxis besuchen. Aus diesem Grund haben wir eine Online-Umfrage durchgeführt.

Das Ergebnis zeigt: Mehr als die Hälfte queerer Patient:innen hält Mediziner:innen für unzureichend aufgeklärt und sensibilisiert zu LGBTQIA-Themen.

Das ist auch der Grund, warum circa 20 % der Befragten ihre geschlechtliche oder sexuelle Identität bewusst verschweigen. Außerdem gaben die Teilnehmer:innen der Online-Umfrage an, dass es ein starkes Stadt-Land-Gefälle gibt.

LGBTQIA-sensibilisierte Ärzt:innen gebe es laut den Befragten vorrangig in mittleren und größeren Städten. Darum kontaktieren queere Patient:innen lieber Ärzt:innen in Großstädten, auch wenn das mit einem längeren Weg oder einer Videosprechstunde verbunden ist.

Weiterhin wiesen die Befragten auf binär gestaltete Anamnese-Bögen hin. Hierbei finden Nicht-binäre Personen keine Möglichkeit, die ihrer Identität entspricht. Einige der Umfrage-Teilnehmer:innen berichteten, nicht mit der richtigen geschlechtlichen Identität angesprochen worden zu sein.

In Summe zeigen diese Ergebnisse ein erhebliches Verbesserungspotenzial auf Seiten der Ärzt:innen auf.

Eine queersensible Gesundheitsversorgung wirkt psychischen Erkrankungen entgegen

Außerdem fiel in unserer Online-Umfrage auf, dass die Diskriminierungserwartung zu einer schlechteren medizinischen Versorgung von LGBTQIA-Patient:innen führt. Aufgrund früherer negativer Diskriminierungserfahrungen suchen manche keinen Arzt oder keine Ärztin auf.

Die ständige Auseinandersetzung mit Stigmatisierungen führt bei vielen LGBTQIA-Personen zudem zu psychischen Problemen. So ist der Anteil psychischer Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich hoch.

Im Umkehrschluss heißt das: Queersensible Ärzt:innen reduzieren die Diskriminierungserfahrungen von LGBTQIA-Patient:innen und helfen, psychische Erkrankungen zu verhindern. 

Das können Sie für Ihre queeren Patient:innen tun

Jede:r Patient:in, unabhängig von Geschlecht oder anderen Merkmalen, hat das Anrecht auf eine gute Patientenversorgung. Achten Sie daher darauf, dass Sie LGBTQIA-Personen einfühlsam behandeln.

Beratungsstellen informieren darüber, wie Sie queersensibel kommunizieren können. So gibt es beispielsweise einen eigenen Leitfaden zur Trans-Gesundheit von awmf.org.

Im Guide von queermed.at geht es vor allem darum, wie Sie verständnisvoll mit queeren Patient.innen kommunizieren, unabhängig von Ihrer Fachrichtung. Psychotherapeut:innen finden auf queer-gesundheit.de einschlägige Fortbildungen.

Indem Sie sich über diese Themenfelder informieren, können Sie Ihre LGBTQIA-Patient:innen diskriminierungsfrei behandeln. Zeigen Sie auch auf Ihrer Website oder Ihrem jameda-Profil, dass Sie für queere Themen sensibilisiert sind.

Auf diese Weise werden LGBTQIA-Patient:innen eher Vertrauen fassen und einen für die Gesundheit so wichtigen Arzttermin bei Ihnen buchen. 

LGBTQIA-Umfrage deckt Nachholfbedarf bei queersensibler Gesundheitsversorgung auf

Mit dem jährlichen Pride Month erinnern wir an die mutigen Demonstrierenden der Stonewall-Aufstände 1969 in New York. Auch noch heute sind viele queere Menschen Diskriminierungen ausgesetzt, was folgenschwere Konsequenzen für ihre Gesundheit haben kann.

Da auch unter Ihren Patient:innen mit hoher Wahrscheinlichkeit LGBTQIA-Personen sind, sollten Sie sich über queere Themen informieren. Der jährliche Pride Month im Juni bietet dazu sehr viele Möglichkeiten.

Der einfühlsame Umgang mit queeren Patient:innen ist der erste Schritt hinzu einer besseren Patientenversorgung und Arzt-Patienten-Beziehung.