Mai 08, 2024

Burnout unter Ärzt:innen: Fast jeder Zehnte ist betroffen

FotoDrBraun

Dr. med. Maxi Braun, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Ammersee in Bayern, spricht im Interview mit jameda über Burnout bei Ärzt:innen und wie er sich vermeiden lässt.

jameda: Wie verbreitet ist Burnout Ihrer Erfahrung nach unter Ärzt:innen in Deutschland?

Dr. Braun: In Deutschland gibt es inzwischen ein paar Untersuchungen, welche leider nicht immer direkt miteinander vergleichbar sind. Die Zahlen schwanken zwischen 3,1-8,2%. Häufig wird sich darin auf Emotionale Erschöpfung als Kernkomponente von Burnout bezogen. (Braun, M und Beschoner, P (2022): Psychische Gesundheit somatisch tätiger ÄrztInnen in Deutschland. Zeitschrift Ärztliche Psychotherapie. Ärztliche Psychotherapie 2022; 17: 272–278.) Das “gefühlt geäußerte Erleben” der Kolleg:innen ist oftmals deutlich höher.

jameda: Gibt es Fachrichtungen, die besonders häufig von Burnouts betroffen sind und wenn ja, warum?

Dr. Braun: Notfallmediziner:innen, Internist:innen, Allgemeinmediziner:innen, Neurolog:innen, Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen sollen besonders häufig von Burnout betroffen sein. Eine Erklärung wäre, dass diese Fachrichtungen häufig in sehr direktem und häufig intensiven Kontakt mit Patient:innen stehen. Gleichzeitig stellen die Allgemeinmedziner:innen/ Internist:innen in Deutschland die größte Facharztgruppe dar. 

Entlasten Sie Ihre Praxis  Dank digitaler Services wie der jameda Online-Terminvergabe Jetzt mehr erfahren

jameda: Wie äußert sich Burnout bei Ärzt:innen?

Dr. Braun: Wir sehen Burnout häufig als sogenannte “Erschöpfungsdepression”. Diese kann sich beispielsweise in einer ausgeprägten körperlichen und mentalen Erschöpfung, Schlafstörungen, körperlichen Schmerzen, depressiver Stimmungslage, Antriebslosigkeit, Interessenverlust bis hin zu lebensmüden Gedanken äußern. Gleichzeitig halten viele Ärzt:innen in einer Art “Funktionsmodus” oft viel zu lange durch und arbeiten trotz der o.g. Symptomatik einfach weiter.

jameda: Wie kann Burnout frühzeitig bei Ärzt:innen erkannt werden?

Dr. Braun: Eine mehrere Wochen andauernde emotionale Erschöpfung, eine geringe persönliche Erfüllung und ein zynischer Umgang mit den Patient:innen werden als Kernkomponenten von Burnout gesehen. Des Weiteren würde ich ein ständiges Gefühl der Überforderung, eine mangelnde Fähigkeit zu entspannen sowie allgemein das Empfinden des Ausgebranntseins dazu rechnen.

jameda: Welche persönlichen Strategien empfehlen Sie Ärzt:innen, um mit den hohen Anforderungen ihres Berufs umzugehen und Burnout zu vermeiden?

Dr. Braun: Zunächst Basics wie ausreichend Essen und Trinken sowie Einhalten von Pausen-Zeiten im Arbeitsalltag. Dazu auf den Ausgleich der Ressourcen und Belastungen zu achten, Praktizieren von (Alltags-) Achtsamkeit, Ergründen der persönlichen Motivation für den Arztberuf, regelmäßig Sport, Nein-sagen und Abgrenzung lernen, Zeitmanagement üben.

jameda: Gibt es Änderungen in der Arbeitsumgebung oder im Berufsalltag, die Sie als besonders hilfreich ansehen würden?

Dr. Braun: Entlastung von primär nicht ärztlichen Aufgaben, sehr gute IT-Strukturen und Unterstützung sowie eine konsequente elektronische Arbeitszeiterfassung.

jameda: Welche präventiven Maßnahmen können Kliniken und Praxen ergreifen, um Burnout zu verhindern?

Dr. Braun: Konsequente elektronische Zeiterfassung, verlässliche Urlaubs- und Dienstplanung, Bereitstellung von betrieblichen, zuverlässigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Entlastung von und Unterstützung bei nicht primär ärztlichen Aufgaben, Etablierung einer Fehlerkultur, externe Teamsupervision, transparente und verlässliche Weiterbildungsplanung und eine angemessene Entlohnung der ärztlichen Tätigkeit.

jameda: Können Sie spezielle Programme oder Initiativen empfehlen, die sich als wirksam erwiesen haben?

Dr. Braun: Wir haben in den letzten fünf Jahren in unserer Klinik eine Behandlungseinheit für psychisch erkrankte Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen aufgebaut, für welche es aufgrund der hohen Nachfrage eine Warteliste gibt. Unserer Erfahrung nach verlassen die ärztlichen Patient:innen unsere Klinik in der Regel in einem gebesserten Zustand. Wünschenswert wären auf jeden Fall weitere, auch niederschwellige und ambulante Angebote für medizinisches Personal. Präventiv bieten meine Kollegin, Dr. Theresa Schweizer, und ich Anfang Mai sowie voraussichtlich Anfang Oktober 2024 erstmalig ein präventives Retreat für Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen in unserer Klinik an, welches mehr Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl, Stärke und Gelassenheit im (Arbeits-) Alltag zum Ziel hat.

Bildnachweis: Dr. med. Maxi Braun