"Effizientes Arbeiten beginnt für mich mit Selbstfürsorge"

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Effizientes Arbeiten ist entscheidend für den Erfolg einer Praxis. Psychotherapeutin M.Sc. Charlotte Toth teilt in diesem Interview ihre Strategien zur Balance zwischen effizienter Arbeitsweise und persönlicher Patientenbetreuung. Sie erklärt, wie Stressmanagement und Selbstfürsorge die Basis ihrer Effizienz bilden und welche Technologien und organisatorischen Maßnahmen sie einsetzt, um den Praxisbetrieb zu optimieren.

jameda: Was bedeutet für Sie persönlich "Praxiseffizienz" in der Psychotherapie?

Toth: Die Effizienz meiner Praxis ist in meinen Augen untrennbar mit meinem persönlichen Stressmanagement verbunden. Mit Stressmanagement meine ich, mich bewusst stressen und bewusst entspannen zu können und beides im Gleichgewicht zu halten. Biologisch ausgedrückt meine ich, mein Arousal im Sinne des autonomen Nervensystems bewusst kontrollieren zu können - die Ironie, ein autonomes System beeinflussen zu wollen, ist mir bewusst. Zum Glück ist das System ja nicht ganz autonom. Wenn meine Selbstfürsorge und insbesondere mein Stressmanagement leiden, werden alle anderen Lebensbereiche und Mitmenschen leiden.

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jameda: Wie balancieren Sie zwischen der Notwendigkeit, effizient zu arbeiten, und der persönlichen Betreuung Ihrer Patienten?

Toth: Effizientes Arbeiten beginnt für mich nicht mit der Organisation und meinem Selbstmanagement in der Arbeitszeit, sondern mit meiner Selbstfürsorge im Sinne von einer ausreichenden Schlafqualität und -quantität (in meinem Fall mindestens acht Stunden), ausreichend Bewegung (Kraft- und Ausdauersport), einer ausgewogenen Ernährung, kein allzu großes Essenszeitfenster, angenehmen Sozialkontakten und kontinuierlicher Weiterbildung. Weiterhin würde ich eine eigene Therapie - in meinem Fall Supervision und Intervision - dazuzählen, da es in meinen Augen unerlässlich ist, mich selbst laufend zu reflektieren und weiterzuentwickeln (hin zu mehr emotionaler Reife/Intelligenz), wenn ich mit Menschen arbeite. Mein Wecker zum Schlafen gehen, mein Radweg zur Praxis, mein kaltes Duschen in der Praxis, mein Verzicht auf Alkohol und andere Drogen - außer Koffein - das Fischöl Mittags, mein geringer Verzehr von Zucker und stark weiterverarbeiteten Lebensmitteln, mein Lesen und Podcast anhören, mein Sozialleben und persönliche Projekte (z. B. Kinderbücher zu schreiben und malen) gehören für mich genauso zur Praxiseffizienz wie das unten folgende Organisatorische. Das Genannte schafft für mich die Basis dafür, dass ich mein autonomes Nervensystem in dem Maße regulieren kann, dass effizientes Arbeiten möglich wird.

Effizienz in meiner Praxis setzt sich zusammen aus der Gestaltung von Rahmenbedingungen und meinen Denk- und Verhaltensweisen. Beides betrachte ich als einen kontinuierlichen Lern- und Verbesserungsprozess. Eines von vielen Büchern, die mich geprägt haben, war “Die 7 Wege zur Effektivität - Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg” von Stephen Covey. Seitdem ich das Buch gelesen habe, konzentriere ich mich mehr auf Aufgaben, die wirklich wichtig sind und die meinen Werten entsprechen. Geholfen hat mir weiterhin die Erkenntnis, dass ich zu viele Aufgaben für zu wenig Zeit habe und somit notwendigerweise Aufgaben unerledigt bleiben. Dabei versuche ich zu überlegen, welche Investitionen meiner Zeit sich wirklich lohnen, also für mein Wohlbefinden oder das meiner Mitmenschen kurzfristig und längerfristig den meisten Mehrwert haben. Dabei versuche ich, meine Bedürfnisse wie beispielsweise eine angemessene Vergütung und die Bedürfnisse meiner Patient:innen im Blick zu behalten. Es gehört für mich als Therapeutin dazu, ein Vorbild zu sein für das Aushandeln von Bedürfnissen und Grenzen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Mir ist bewusst, dass ich meinen Mitmenschen schade, wenn ich meine Belastungsgrenzen dauerhaft überschreite und deswegen meine und die Gefühle der Patient:innen schlechter regulieren und weniger klar denken kann. Wesentlich dafür ist aber die Transparenz. Ich kommuniziere, warum ich nicht erreichbar bin und warum ich nicht alle E-Mails beantworten kann. Damit mache ich in der Regel gute Erfahrungen und erlaube meinem Gegenüber gleichzeitig, dass er/sie darüber verärgert sein und für sich prüfen darf, ob ich das richtige Therapieangebot für ihn/sie mache. Seitdem ich Dr. Alia Crum über die Rolle von Mindsets habe sprechen hören (Dr. Alia Crum, Podcast Huberman Lab, 24.01.2022), versuche ich mich gezielt positiv zu stressen, indem ich Zeitfenster kurz halte für die Erledigung von Aufgaben wie Berichte, Bescheinigungen und die Auswertung von Fragebögen. Das hilft mir, mich konzentrieren zu können und schnell zu arbeiten. Ebenso wichtig ist mir das bewusste Entspannen und Abschalten von der Arbeit. Dazu gehört, dass ich nicht zu lange nach der letzten Sitzung in der Praxis bleibe und in meiner Freizeit nicht erreichbar bin. Gewohnheiten und feste Abläufe (z. B. nach welcher Sitzungszahl ich Anträge stelle oder Berichte schreibe) sind ebenfalls hilfreich für mich.  

 

jameda: Welche strategischen Maßnahmen oder Systeme haben Sie in Ihrer Praxis implementiert, um die Effizienz zu steigern?

Toth: Ein paar Veränderungen in meinen organisatorischen Abläufen hatten für mich eine sehr positive Wirkung. Die Investition in einen Onlineterminkalender hat sich für mich in vielfacher Hinsicht bewährt. Ich habe viel weniger Terminausfälle, ich habe deutlich weniger organisatorische Anfragen zu Terminen, Patient:innen vergessen Termine viel seltener und es gibt auf meiner und der Seite meiner Patient:innen weniger Unklarheiten. Das dauerhafte Einstellen einer automatischen Antwort bei meiner E-Mail-Adresse hat mir große Erleichterung verschafft. In meiner automatischen Antwort teile ich mit, dass ich bei Anfragen von Bestandspatient:innen länger brauche, um zu antworten und keine Therapieplätze frei habe, aber spontan abgesagte Termine über jameda zur Buchung zur Verfügung stelle und ich es im Arbeitsalltag nicht schaffe, Anfragen von Neupatient:innen zu beantworten. Neuerdings habe ich in diese automatische Antwort alternative Anlaufstellen aufgenommen: Psychologische Beratungsstellen, Kostenerstattungsverfahren, die 116117 und Selbsthilfegruppen. Die automatische Antwort hat mein schlechtes Gewissen erleichtert und ich hoffe, damit Menschen Orientierung geben zu können. Eine dritte Maßnahme war das Stellen eines Weckers, der zehn Minuten vor Ende der Therapiesitzung klingelt und mir so erlaubt, die Sitzungen in Ruhe zu einem Ende zu bringen und nicht mehr zu überziehen. Damit habe ich zwischen den Sitzungen ein paar Minuten, um zu dokumentieren, kleine Aufgaben zu erledigen und auf die Toilette zu gehen.

jameda: Wie nutzen Sie moderne Technologie oder spezialisierte Tools, um den Praxisbetrieb effizienter zu gestalten?

Toth: Momentan mache ich mich mit künstlicher Intelligenz vertraut und bleibe neugierig und offen, wie diese meine Arbeit unterstützen und erleichtern könnte, unter Vorbehalt von Datenschutz. Bislang hat mich ChatGPT begeistert und ich sehe darin ein großes Potenzial für fachübergreifende Diagnostik und Behandlungsplanung.

Bildnachweis: M.Sc. Charlotte Toth