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Schwierige Patient:innen: "Er wurde ausfallend und schrie mich an"

Geschrieben von jameda Redaktion | August 06, 2024

Im Praxisalltag sind schwierige Patientensituationen keine Seltenheit. Wir haben mit Lisa Raith, einer erfahrenen ehemaligen Medizinischen Fachangestellten und QMF TÜV im Gesundheits- und Sozialwesen, über den Umgang mit solchen Herausforderungen gesprochen. Sie teilt wertvolle Tipps und Strategien, um auch in stressigen Situationen professionell und empathisch zu bleiben.

jameda: Was sind die häufigsten Gründe, warum Patient:innen schwierig werden können?

Raith: Die häufigste Ursache ist meiner Meinung nach Frustration und Misskommunikation. Ein typisches Beispiel: In der Praxis ist viel los und es kommt in der Sprechstunde zur Verzögerung, weil es z. B. einen Notfall gab. Die Patient:innen sitzen im Wartezimmer und sind frustriert, weil sie nicht wissen, was los ist oder warum sie so lange warten müssen. Daher mein Rat: Teilt gerne Verzögerungen mit Patient:innen und bittet um Verständnis. Bietet immer an, dass sie vielleicht auch mal 10 Minuten rausgehen können. Sprachbarrieren können natürlich auch dazu führen, dass eine Situation schwierig wird. Hier haben wir immer gerne Karteikarten benutzt, auf denen Kernsätze in verschiedenen Sprachen standen.

jameda: Welche Strategien haben sich Ihrer Erfahrung nach als am effektivsten im Umgang mit schwierigen Patient:innen erwiesen?

Raith: Positive Formulierungen. So simpel. Anstatt alles negativ zu formulieren, sollten wir uns darin üben, alles positiv zu formulieren, also dem/der Patient:in aufzuzeigen, was möglich ist, statt nur darauf zu beharren, was nicht möglich ist. Möchte der/die Patient:in zum Beispiel einen Termin für morgen Nachmittag, sollte man nicht antworten: “Nein, da geht es nicht.”, sondern es positiv formulieren und antworten: “Morgen Nachmittag sind bereits alle unsere Kapazitäten aufgebraucht. Alternativ kann ich Ihnen den Vormittag anbieten, oder übermorgen Nachmittag, was passt besser für Sie?”.  

jameda: Können Sie eine herausfordernde Situation mit einem/einer Patient:in beschreiben? Wie haben Sie die Situation gemeistert?

Raith: In einer orthopädischen Praxis, in der ich gearbeitet habe, kam es leider öfter vor, dass Neupatient:innen mehrere Monate auf einen Termin warten mussten. Dies führte natürlich auch sehr oft zu Unmut. So kam es eines Tages dazu, dass ein Neupatient am Telefon mehrmals beteuerte, wie viele Schmerzen er hätte und er jetzt einen Termin braucht und nicht in 2 Monaten. Ein Klassiker. Ich habe ihm gesagt, dass ich die Situation natürlich verstehe, aber unsere Kapazitäten einfach am Limit seien. Er wurde dann ausfallend, schrie mich an, beleidigte mich und lies mich nicht mehr ausreden. Ich wies ihn darauf hin, dass ich auflegen werde, wenn er sich nicht beruhige, da ich das Gespräch in so einem Tonfall nicht fortführen werde und ihm nur helfen möchte. Gesagt, getan. Nach 5 Minuten habe ich den Patienten zurückgerufen und gefragt, ob ich ihm nun einen Termin anbieten darf und wir unser Gespräch in Ruhe fortfahren können. Er hat sich entschuldigt und wir konnten gemeinsam eine Lösung finden. Das war natürlich eine sehr drastische Maßnahme, aber in diesem Falle einfach angebracht.

jameda: Wie haben Sie dafür gesorgt, dass Sie nach einem schwierigen Patientenfall nicht zu gestresst sind und weiterhin motiviert bleiben?

Raith: Es hat mich einige Praxen, Jahre und Patient:innen gekostet, um das zu lernen, aber der Schlüssel ist: ruhig bleiben und durchatmen und nichts persönlich nehmen. Jeder hat mal einen schlechten Tag, auch das Praxispersonal. Der Ärger, den Patient:innen gerne an uns auslassen, gilt eigentlich nicht uns, sondern der Situation. Natürlich gibt es immer Ausnahmen, die persönlich werden, aber das entsteht rein aus Frustration. So schwer es einem fällt, man muss sich immer vor Augen halten, dass es an einem selber liegt, in welche Richtung man das Gespräch persönlich lenkt. Man sollte aber natürlich auch darauf achten, dem Gegenüber respektvoll Grenzen aufzuweisen. Es hilft in solchen Situationen häufig einmal innezuhalten und durchzuatmen. Bei aufgeheizten Telefonaten auch gerne einen Rückruf anbieten, wenn sich beide Parteien beruhigt haben.

jameda: Haben Sie noch weitere Tipps oder Ratschläge für andere medizinische Fachangestellte oder Ärzt:innen im Umgang mit herausfordernden Patient:innen?

Raith: Teamwork und Zusammenhalt. Sowohl die Ärzt:innen als auch die Kolleg:innen sollten hinter einem stehen. Ist eine Situation nicht zu bewältigen, sollte man sich Hilfe holen bzw. Einschreiten. Gerade bei jüngeren Kolleg:innen habe ich mich gerne einfach mal ruhig dazu gestellt, um die Gemüter etwas zu beruhigen. Manchmal sind beide Parteien so aufgeheizt, dass das Gespräch ohne einen Dritten, der nicht involviert war, gar nicht mehr zu retten ist. Man sollte hier als Vermittler:in dienen und helfen. Ärzt:innen sollten vor allem darauf achten, dass sie immer hinter ihren Angestellten stehen und ihnen vor Patient:innen nicht in den Rücken fallen. Eine Praxisorganisation steht und fällt mit den MFAs. Zusätzlich ist Resilienztraining etwas, was man in gemeinsamen Teamworkshops definitiv mehr fördern sollte.

Bildnachweis: Lisa Raith